Mitte März 2020 wird kaum jemand jemals vergessen. Wetten der Spruch «Bitte bleiben Sie zu Hause», ausgesprochen mit einem sanften französischen Akzent, hat sich für immer in unsere Ohren «eingebrannt». Was danach geschah, und immer noch geschieht, hätte sich keiner vorstellen können, auch wenn mittlerweile «die Experten» mehr sind als die Infizierten.
Der Lockdown hat uns alle kalt erwischt. Fast so, als ob wir uns «plötzlich und aus dem nichts» mit etwas beschäftigen mussten und es akzeptieren, was wir weder erwarteten noch wollten. Eben wie die plötzliche Stellenlosigkeit. Ein «kleiner» Virus löste in der sicheren Schweiz eine nie zuvor gesehene Krise aus. «Gefahr, Ratlosigkeit, Klemme, Unsicherheit, Dilemma, Verknappung, Angst…» alles Begleitzustände und Emotionen, die auch die Kündigung der Arbeitsstelle bei den meisten Betroffenen auslöst.
Zuerst kam die Starre. Wir schauten uns perplex die nationalen Nachrichten an und konnten es «nicht fassen». Glauben was passiert schon gar nicht. Genau wie bei einer Kündigung. Nun, ich schrieb vor das Wort «Kündigung» das Wort «unerwartet», und löschte dieses, und schrieb es wieder, und löschte es wieder. Denn war es wirklich so «unerwartet» was passiert ist?! Natürlich nicht! Über Monate zuvor sahen wir, zuerst in China und nachher immer näher und näher, was passiert. Nur dachten wir «blauäugig» – ach was, uns passiert das nicht… Wir ignorierten die deutlichen Zeichen, wie so oft bei einer Kündigung.
Waren wir auf Corona vorbereitet? Natürlich nicht!
Und auf eine drohende Kündigung? Ist man für die Stellensuche danach vorbereitet? Eher nicht...
Wie gut ist Dein Bewerbungsdossier? Wie genau weisst Du was zu tun ist? Hast Du ein Plan? Wahrscheinlich denkst Du – naja, eins nach dem anderen, .... Tja, auch die Regierungen dachten «zuerst schauen wir zu, dann überlegen wir, dann empfehlen wir, dann verbieten wir…». Die Folgen dieser «Ahnungslosigkeit» werden uns eine Zeit lang stark beschäftigen. Wetten Du denkst: sie hätten es besser machen müssen. Wetten sie selber denken: wir hätten es besser machen können.
Nach der Starre kam die Anpassung. Bei manchen panisch, bei anderen überlegt. Man arrangierte sich. Nicht alles passte, wie sollte es auch, doch die meisten versuchten mit der Situation zu Recht zu kommen. Vielen geling es auch, andere wiederum wurden von Tag zu Tag planloser. Genau wie am Anfang einer Stellensuche – die einen nehmen die Herausforderung an und handeln, andere fangen an jedes noch so kleine Hindernis zu einer unüberwindbaren Störung hoch zu schaukeln.
Tag für Tag konnte man das ganze Spektrum des menschlichen Handels beobachten. Von «mein ganzes Leben steht Kopf» bis «ich geniesse einfach die Zeit» war alles, aber wirklich alles dabei. So ist es auch unter den Stellensuchenden – man ist aktiv oder «geniesst»/passiv. Man konnte so vieles beobachten – von tragisch bis lustig, von ideenreich bis zu absolutem Schwachsinn. Auch das unterscheidet sich nicht wesentlich von dem, was man «in der Stellensuche-Phase» so trifft.
Doch mit dem Anhalten der Unsicherheit stieg auch der Angst-Pegel. Und wir wissen es nicht erst seit Corona – Angst ist nicht der beste Ratgeber, auch bei der Stellensuche nicht. Angst löst eher früher als später Frust aus.
Je länger es mit den Lockdown-Massnahmen ging, desto mehr Menschen verfielen Gedanken wie «Ich bin gesund, warum muss ich auch…». Auf die Stellensuche übersetzt würde das heissen «Ich bin der Beste, warum…». Ich sag Dir «warum». Weil Du nicht der Einzige bist. Autsch. Egal ob in Coronazeiten, oder wenn Du Dich bewirbst.
«Das ist alles nur eine Lüge…»-Stimmen wurden immer lauter. Naja, auch wenn man sich über eine längere Zeit erfolglos bewirbt kommen plötzlich die Idee(n), dass jemand es genau auf «einem» abgesehen hat. Auf die Frage «Warum» findet man schnell «eine Antwort», und diese liegt – bei Corona-Krise wie auch bei einer Stellensuche-Krise – natürlich klar und deutlich ausserhalb der eigenen Macht. Mal ist «Bill Gates» schuld mal ist es der Personalverantwortliche. Es ist jedoch immer «ein Feind», weit weg und unantastbar… Man ist einfach «das Opfer», das dem Ganzen ausgeliefert ist.
Ganz simpel und «praktisch».
Übrigens «Wo ist der Virus?» bzw. «Es gibt keinen Virus» tönt fast wie «Wo ist meine Stelle? Es gibt keine». Die gibt es, liebe Stellensuchende, auch wenn man sie nicht sofort und auf den ersten Klick sieht. «Versteckt und unsichtbar», wie der Virus.
In der Krise beweist sich der Charakter.
Helmut Schmid
In Krisenzeiten, egal welcher Sorte und Art, spürt man die Menschen. Ihr Charakter, ihre Moral, ihre Einstellung, Anpassungsfähigkeit, Bereitschaft und Fähigkeit mit «dem Unbekannten» umzugehen. Selbständigkeit, Flexibilität, Kreativität, Zuverlässigkeit, Belastbarkeit... und all die noch so «schöne (Bewerbung) Worte» werden deutlich, nicht nur «auf Papier».
Die Krise zwang uns alle uns mit uns selbst zu beschäftigen. Uns «genug zu sein». Nicht alle konnten damit etwas anfangen. Es ist exakt so, wie wenn man sich mit seinen Stärken im Bewerbungsprozess auseinandersetzen muss und damit «etwas» nützliches anfangen soll. Sehr wenige können das.
Und ja, die ewigen Nörgler, die sich selbstverliebt als Rebellen sehen, oder - noch verrückter - als «unermüdliche Hüter von...» irgendetwas. Die gibt es immer. Doch in Krisenzeiten kriechen sie überall raus, und - als wäre das nicht schlimm genug - werden sie auch immer lauter.
«Die anderen haben es besser…», «mich betrifft das nicht, also was soll das Ganze», «die taugen für nichts», «der/die muss etwas besser machen», «die haben alles falsch gemacht», «die wollen mich/uns kaputt machen»…
OMG!
Es tönt genauso wie wenn ich höre «ich bin zu alt», «ich bin zu jung», «das geht nicht», «dieses ist nicht möglich», «das brauche ich nicht», «das kann ich nicht»... etc. Und wie in der Corona-Zeit so auch in Stellensuche-Zeiten beobachte ich dabei oft ein sehr seltsames Phänomen: die, die es am Dringendsten haben einen klaren Kopf zu bekommen, die sind genau diejenigen, die am schnellsten, am längsten und sich am beständigsten an Themen und Quellen wenden, die sie noch mehr und noch weiter nach unten ziehen.
Schlimm finde ich auch, wenn man sich einer Erwartungshaltung hingibt, die völlig realitätsfremd ist. In solchen Momenten schaudert es mich, unabhängig davon, ob es sich dabei um den Bewerber handelt, der 200+ unbrauchbare Bewerbungen gesendet hat und sich ärgert, dass er nur Absagen bekommt, oder ob ich es mit einem Corona-Gegner zu tun habe, der wettert, dass er nicht in einer überfüllten Bar abfeiern kann. Echt Leute!
Aber habt ihr es auch gemerkt? Plötzlich ging (fast) alles online. Unglaublich viele Arbeitgeber wurden abrupt aus ihrem «Dornröschen»-Schlaf was Homeoffice und Videokonferenzen-Tools betrifft geweckt. Viele mussten mit Erstaunen feststellen, dass – trotz allen Umstellungen – das Leben doch noch weiter gehen kann. Stellt Euch mal vor sowas wäre uns vor nicht so langer Zeit passiert. Tja… dann hätten wir aber alle und äusserst wuchtig mitbekommen, was ISOLATION und «NICHTS MEHR FUNKTIONIERT» bedeuten kann.
Jetzt – «exgüsi» – aber jammern viele auf einem sehr hohen Niveau, was die Einschränkungen betrifft. Und was kannst Du in Bezug auf das Thema «Stellensuche» und online mitnehmen? Mindestens das: Wenn Du zu den Bewerbern gehörst, die heute noch Schwierigkeiten damit haben ein WORD Dokument ins PDF umzuwandeln, eine PDF-Datei zusammenzustellen und zu verkleinern, sich online zu bewerben und – bald und immer mehr – sich mit einem Video vorzustellen… dann, na dann, ist «Dein Zeitalter» leider definitiv vorbei.
Und die Moral einer Krise?
Krisen haben Phasen. Nicht hunderte, auch wenn uns das manchmal so vorkommt. Egal um was es sich handelt, tritt eine Krise ein, laufen Schockphase / Reaktionsphase / Bearbeitungsphase / Neuorientierungsphase ab. Natürlich nicht für jeden von uns mit dem gleichen Tempo und schon gar nicht mit dem gleichen Ergebnis. Und ja, im Nachhinein ist jeder von uns gescheiter, verspricht zumindest das Sprichwort. Nicht jeder macht das Mögliche daraus. Ja, DAS MÖGLICHE, nicht «das Beste»! Und so wird es auch nach dieser Krise sein – einige werden sich noch lange in ihrer «Opferrolle» wiegen und sich verbittert lautstark beklagen, andere werden «nach vorne schauen», sich anpassen, handeln, ihr («neues»?) Leben leben, einen Weg finden. Rate mal wer von beiden Sorten «zukunftsrelevant» ist. Genau wie wenn man auf Stellensuche ist! Man ist «stellenrelevant» oder nicht, man handelt oder jammert.
Sind Krisen Chancen? Glaubt man nur die schlauen Facebook-Sprüche dann schon, im richtigen Leben - jein. Einerseits verstehen wir alle, dass wenn etwas Kritisches eintritt womit wir nicht gerechnet haben eine Handlung ausgelöst werden muss. Andererseits, und in der Realität, führt leider nicht jede Handlung zum gewünschten Resultat. Geschweige denn ist sie die (vermeintliche) «Chance» wert.
Womit - ich zumindest - zum «nein» komme.
Warum sollen Menschen einfache Sachen wie zum Bsp. «Hände waschen» und «andere nicht anhusten» auf die harte Tour lernen, und darin noch «Chancen» sehen? Genau so wundert es mich auch, was soll das für eine «Chance» sein hunderte 08:15 Bewerbungen zu schreiben bis man erkennt, dass es auch anders geht? Also nein, ich bin nicht so Fan von «gestärkt aus einer Krise kommen». Mir persönlich passt viel mehr Krisen zu vermeiden, oder zumindest zu schwächen, in dem wir «vorsorgen».
Und wisst ihr noch? All die Sprüche am Anfang der Corona-Krise? Wie sich die Welt verändern und verbessern wird, zu einem himmlischen Ort wird und wir – ach wir – zur besten Variante unseres Selbst aus der Krise «geboren» werden? Glaubt ihr noch daran? Naja, meine anfängliche Euphorie hat sich nach den letzten Wochen etwas gedämpft. Mittlerweile wäre ich schon zufrieden, wenn wir zumindest eine einzige Erkenntnis aus den letzten zwei Monaten mitnehmen würden:
Sorge in besseren Tagen für die Schlechteren. ... auch bei der Stellensuche.
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