Roger Schnyder war während 5 Jahren HR Leiter der traditionsreichen Schweizer Versicherungsgesellschaft Pax. Während dieser Zeit hat er etliche Bewerbungen gesichtet, vielen Kandidaten eine positive Nachricht überbracht und auch nicht wenigen leider eine Absage erteilt. Seit August 2014 geniesst er seinen Ruhestand unter der Sonne Portugals zusammen mit seiner Frau. Und nimmt sich die Zeit, mir ein paar Fragen rund um die Bewerbung «aus erster Hand» zu beantworten. Dafür ganz herzlichen Dank!
Was mochtest Du besonders an Deinem Beruf? Was allenfalls weniger?
Roger Schnyder: Am meisten gefiel mir der Kontakt mit Menschen. Auch die vielfältigen Frage- und Problemstellungen mit Kandidaten, Linienverantwortlichen, Ämtern etc. Weniger Gefallen fand ich an Entlassungen, aus welchen Gründen auch immer. Das war die Kehrseite der Medaille.
Wie viele Bewerbungen hast Du durchschnittlich auf dem Tisch gehabt bei einer neuen Stellenausschreibung?
Roger Schnyder: Dies war stark abhängig von der ausgeschriebenen Stellenvakanz. Hierzu 2 Beispiele: Handelte es sich um einen oder eine CEO- Assistenten(in) erhielten wir innert Stunden bis zu 50 sehr valable Bewerberdossiers, da dieser Job ein hohes Ansehen und Attraktivität ausweist. Suchten wir wiederum einen aktuariellen Sachbearbeiter war der Rücklauf entsprechend gering, denn hier handelt es sich um ein sehr rares Sachbearbeiterprofil (Universitätsstudium in Mathematik erforderlich).
Wie bist Du im Auswahlverfahren vorgegangen?
Roger Schnyder: Für das Auswahlverfahren stehen den HR's in der Regel Soll-Profile zur Verfügung, die für die Vakanz erforderlichen Skills enthalten. Die Rekrutierung ist normalerweise (Ausnahme Kleinstfirmen) mit spezifischen Arbeitsprozessen geregelt und läuft vereinfacht beschrieben meistens nach denselben Standards ab:
Ausschreibung, eingehende Dossier selektieren, zu 1. Interview einladen, Selektieren für 2. Interview, dann 2. Interview (evtl. mit anschliessendem Assessment) und letztlich Anstellungs-Entscheid.
Die Dauer des gesamten Prozesses ist stark von der ausgeschriebenen Stelle abhängig. Oft wird auch zuerst nur intern ausgeschrieben um interne Stellenwechsel transparenter zu gestalten (bspw. in Sachen Personalentwicklung) und erst bei negativem Verlauf in einem zweiten Schritt extern ausgeschrieben. Oft haben die Firmen auch sogenannte «Mitarbeiter vermitteln Mitarbeiter» Programme damit die Mitarbeitenden der Firma mögliche Kandidaten aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis prioritär vermitteln können. Selbstverständlich wird auch in diesem Fall in einem ersten Schritt lediglich intern ausgeschrieben und erst sofern erforderlich in einem zweiten Schritt extern gesucht.
Gab es eindeutige NoGo’s bei einer Bewerbung für Dich?
Roger Schnyder: Eindeutige NoGo's sind starke Mängel und fehlerhaft aufbereitete Bewerbungsunterlagen. Auch wenig Beachtung fanden Bewerber, die mit dem gesuchten Profil nicht korrespondierten.
Man spricht oft über die Fach-/Sozial-/Methodenkompetenzen eines Kandidaten. Wo lagen Deine Haupt-Entscheidungskriterien?
Roger Schnyder: Auch das ist von der Stellenvakanz abhängig. Bei einer Führungskraft steht eher die Sozial- und Methodenkompetenz im Vordergrund. Bei einem Fachspezialisten ohne Führungsaufgaben eher die Fachkompetenz und bei einem Sachbearbeiter für ein Team primär die Fachkompetenz und Teamfähigkeit.
Wie wichtig war für Dich die schriftliche (Dossier), mündliche und persönliche Präsentation eines Bewerbers?
Roger Schnyder: In einer ersten Phase ist die Gestaltung und der Inhalt eines Dossiers prioritär und in der Folgephase(en) ist der persönliche Auftritt stark massgebend.
Wie stehst Du zum Thema «aktive Bewerbungen»? Hast Du schon jemals jemanden auf diesem Weg angestellt?
Roger Schnyder: Ja, auch auf diesem Weg habe ich schon Anstellungen vollzogen. Ich empfehle jedoch vorgängig beim HR telefonisch anzufragen ob grundsätzlich ein mögliches Interesse besteht oder in naher Zukunft bestehen könnte.
Viele Bewerber fühlen sich in einem Bewerbungsprozess unrecht behandelt, vor allem bei einer Absage. Kannst Du etwas für die bessere Verständigung zwischen beiden Lagern (HR/Stellensuchende) sagen bzw. beitragen?
Roger Schnyder: Absagen erfolgen prinzipiell weil ein noch besserer Kandidat für die Stelle gefunden werden konnte. Nach meiner Erfahrung haben sich oft Kandidaten für eine Stelle beworben deren Profil bestenfalls zu 50% mit den erforderlichen Anforderungen korrespondierte. Mein Rat: Nur bewerben, wenn das eigene Profil zumindest zu 75% mit den ausgeschriebenen Anforderungen korrespondiert. Nicht zu vergessen, Absagen sind immer für beide Parteien negativ behaftet.